3 Wochen durch das Hochgebirge der Khumbu-Region im Himalaya
Im ersten Teil habe ich die Ankunft in den Bergen und die ersten zwei Tage bis nach Namche Bazaar beschrieben, wo wir zwei Nächte blieben. Im zweiten Teil fokussierten wir uns auf das Akklimatisieren und ich zusätzlich noch auf das Gesundwerden, um nun richtig in die Berge starten zu können. Nun wollen wir den ersten und höchsten der drei Pässe in Angriff nehmen und das Everest Base Camp besuchen.
Dingboche – Chukhung
Wir befanden uns in Dingboche auf 4.350 m Höhe und fühlten uns gut akklimatisiert. Meine Erkältung schien ich langsam in den Griff zu bekommen und so beschlossen wir einen erneuten Versuch hin zum ersten der drei Pässe zu starten. Wie schon einige Tage zuvor machten wir uns auf den entspannten Weg hoch nach Chukhung: etwa 500 Höhenmeter auf 6 km verteilt. Wir mussten nicht früh aufstehen und konnten so die Wanderung trotz schwerer Rucksäcke genießen. Nach zwei Stunden kamen wir in dem 4.700 m hohen Chukhung an – es war wieder etwas wärmer geworden, worüber ich mich sehr freute.
Nach einem kleinen Erkundungsgang, um morgen nicht nach dem Weg suchen zu müssen, machten wir es uns im Gemeinschaftsraum gemütlich, der ebenfalls angenehm warm war. Ich hätte den Rest des freien Nachmittags bestimmt noch mehr genossen, wenn nicht ein paar Leute neben uns Dal Bhat bestellt und sich geteilt hätten. Dieses Gericht kommt als einziges nicht als eine Portion, sondern als „All-You-Can-Eat“ mit Nachschlag und sich so etwas zu teilen, um Geld zu sparen und damit die Bevölkerung dort quasi zu beklauen, finde ich, ist das letzte. Schön war dann später immerhin, dass mein Blutsauerstoff bei 89 % lag, wir waren positiv eingestellt für morgen.
Aufstieg: Kongma La Pass
Kongma La ist mit 5.535 m der höchste der drei Pässe und der erste für alle, die die Wanderung – wie wir – entgegengesetzt dem Uhrzeigersinn wandern. Etwa 14 km führen von Chukhung über den Pass durch die wilde Landschaft der Berge hinein ins Nebental nach Lobuche. Dort bahnt sich der riesige Khumbu-Gletscher vom Everest kommend seinen Weg in die unteren Täler und dort würden wir auch wieder auf die Hauptroute zum Everest Base Camp (EBC) treffen – vorausgesetzt wir schafften es über den Pass.
Gegen halb 7 und etwas später als wir eigentlich wollten, gingen wir zu einer kleinen Brücke hinter den Gebäuden, die uns an die Flanke der Talwand führen würde, an der wir uns nun hocharbeiten mussten. Es ging in grober Richtung zurück nach Dingboche, nur dass der Weg nach Dingboche nun unter uns lag. Wir stiegen auf. Die Sonne ging gerade über den Bergen im Osten auf und vor uns sahen wir schon viele bunt gekleidete Wanderer an verschiedenen Stellen der Bergflanke hinaufsteigen. Eigentlich hätte uns das das Wegfinden erleichtern sollen, aber es gab so viele verschiedene gleichermaßen ausgetretene Pfade, dass wir irgendeiner Gruppe folgten und unnötigerweise viel zu steil aufstiegen. Hätten wir mal lieber für uns selbst nach den Markierungen auf den Steinen geschaut. Es endete damit, dass wir eine lange Traverse hinüber auf einen anderen Abschnitt machten und dabei einige Höhenmeter verloren. Dafür hatten wir nun den Hauptpfad wiedergefunden und konnten diesem gut folgen. Dieser Teil der Wanderung war trotz der Höhe sehr angenehm, denn ich hatte endlich einen guten Laufrhythmus gefunden. Die Berge erhoben sich wie rollende Hügel nur spärlich von Gras bewachsen und um uns herum thronten die schneebedeckten Gipfel des Himalayas. Dass wir bald schon auf 5.000 m ankamen und damit den höchsten Punkt der Alpen überschritten und die Gipfel um uns herum trotzdem noch so hoch aufragten, war kaum zu begreifen.
Es ist schwer die Zeit einzuschätzen, denn ich schaute nicht auf die Uhr. Es war eine Monotonie aus Schritten, meistens irgendwie bergauf. Gelegentliche Trinkpausen und der Blick auf die Berge. Irgendwann bog der Pfad nach rechts in die schrofferen Gebiete ab und wir kamen an eine steile Felswand, an der sich der Pfad steil hoch arbeitete. Wir mussten teilweise unsere Hände zu Hilfe nehmen, meine Lunge schrie bei jedem Kletterzug, jedem Hochstämmen aus meinen Oberschenkeln. Das Gewicht des Rucksacks wollte mich nach hinten und unten ziehen – die Klippe hinab. Wenn man sich bewusst wird, dass ein falscher Schritt dein letzter Schritt auf dieser Welt sein könnte, klickt etwas im Gehirn. Irgendein Mechanismus setzte ein, der mich auch stundenlang eine krasse Konzentration aufrechterhalten ließ. Ich setzte meine Füße nicht einen Zentimeter zu weit nach links oder rechts, meine Hände griffen immer an einen festen Stein – die Zeit in den Bergen letztes Jahr hatte mir geholfen die losen, splitternden Felsteile zu erkennen und mich nicht an diesen festzuhalten. Irgendein Teil in mir redete mir ein, dass es ja nicht so schwer sein konnte, denn diesen Weg meistern ja auch viele Menschen ohne vorherige Erfahrung in den Bergen, aber irgendwie half das nicht. Zusätzlich stresste mich natürlich, dass ich Sneaker ohne nennenswertes Profil trug – absolut kein Schuhwerk, das irgendjemand mit klarem Verstand für diese Route empfehlen würde.
Während wir uns in Zeitlupe und hetzendem Atem die steile Bergflanke hocharbeiteten, überholten wir eine gemischte Gruppe, deren Mitglieder sich tatsächlich vor dem Trip nicht gekannt hatten. Sie hatten sich über Facebook zusammengefunden, diese Tour gebucht und Guide und Porter engagiert und waren zusammen losgezogen. Viele, weil sie zuhause in ihrem Umfeld niemanden hatten, der auf einen Wanderurlaub im Himalaya scharf gewesen war…
Wir schafften es nach einer unbestimmt langen Tortur auf eine Hochebene aus zugefrorenen Seen und halb getauten Mooren, teilweise lag hier noch der reine, weiße Schnee des Winters. Es war wunderschön. Wir konnten wieder etwas durchatmen, machten noch eine längere Pause und starteten dann auf das letzte Stück zum Pass. Ein paar Schneefelder mussten überquert werden, die Spuren anderer Wanderer waren jedoch gut erkennbar und noch gefroren, so dass man nicht versank und auch meine wenig geeigneten Schuhe nicht nass wurden.
Und dann sahen wir die bunten Gebetsfahnen über uns. Zwischen Pokalde und den Nupse-Gipfeln, ein nur unwesentlich niedriger erscheinender Felskamm mit einem steilen Anstieg vor uns. Ich hätte es nach dem Klettern von zuvor nicht gedacht, aber es wurde noch schlimmer. Wir näherten uns der 5.500 m Marke und jeder Atemzug schien einem die Lunge zerfetzen zu wollen. Die steilen Abgründe und das erneute Zu Hilfe nehmen der Hände trieben mein Adrenalinlevel in die Höhe. Ich arbeitete mich unendlich langsam im 3-Punkte System nach oben: Drei Gliedmaßen berührten immer den Boden oder schwarzen Fels, nur ein Fuß oder eine Hand wird bewegt. Das gab mir Sicherheit und war auch gerade schnell genug für meinen keuchenden Atem. Unter mir glänzten weitere dunkle Felsen und ein gefrorener See. Ich stieg mühselig auf.
Es kam kein Sherpa mit einer Sauerstoffflasche zu Hilfe.
Ich hatte Angst, dass ich zu müde sein würde, dass ich einen Fehler machen würde, der tödlich enden könnte, aber irgendwie blieb ich auch auf den letzten 100 m konzentriert und schaffte es nach oben. Kongma La. 5.535 m. Ich war noch nie so hoch gewesen wie heute hier.
Ein paar wenige Wanderer waren uns kurz vor dem Pass entgegengekommen, denn von der anderen Seite ist der Aufstieg einfacher und kürzer, da man höher startet. Wir waren jedoch die ersten von dieser Seite auf dem Pass. Dieser war ein zerklüfteter, wilder Ort – schwarze Felsen stießen ihre scharfkantigen Spitzen in den Himmel. Kein Schnee hält sich hier, wenn die Winde durch dieses Nadelöhr zwischen den Gipfeln schießen. Was für ein unwirklicher, magischer Ort. Ich fühlte mich wie ein Eindringling – ich sollte nicht hier sein. Kein Mensch sollte hier sein. Und doch hingen die bunten Fahnen fröhlich schwingend im Wind, ein heftiger Kontrast zu den Steinen, auf denen nichts lebte.
Der Pass selbst war nicht sehr breit und wir zwängten uns zwischen ein paar Felsen, um in trügerischer Sicherheit unsere Mittagssnacks zu essen und uns etwas auszuruhen. Wir blickten Richtung Island Peak zurück und schauten uns dann die andere Seite an. Hoch oben über dem Tal sah der massive Khumbu-Gletscher nur wie eine kleine gemütliche Mulde aus. Auf der anderen Seite liegt unser Ziel für heute: Lobuche, direkt vor den Gipfeln des gleichnamigen Berges dahinter, der weiß und trotz seiner „nur“ knapp über 6.000 m herrschaftlich über dem Dorf wachte.
Abstieg: Kongma La – Lobuche
Nach dem anstrengenden Aufstieg stand nun der Abstieg bevor und ich musste an die weisen Worte eines Guides denken, der zum Besteigen des Mt. Everest einmal gesagt hatte, dass er jeden Idioten dort hochbringen könne – das lebend Herunterbekommen sei die größere Herausforderung. Und ich verstand es nun zum ersten Mal. Das Ziel war erreicht, meine Beine waren müde und mein Geist erschöpft, aber auch auf der anderen Seite ging es steil hinab und man konnte nun seine Hände nicht mehr gut zum Festhalten benutzen.
Der steile Teil kam mir jedoch kürzer vor, was auch sicherlich daran liegen konnte, dass ich etwas besser atmen konnte, nun dass es bergab ging. Gerade wollte ich mich erleichtert entspannen, als es in ein immens großes Feld voller riesiger Felsen ging. Der Pfad war nicht mehr erkennbar, denn auf blankem Stein tritt sich keine Spur ein. Manchmal und in unregelmäßigen Abständen lagen kleine Cairns auf den größeren Blöcken und wir versuchten uns daran zu halten. Ich rutschte einen zwei Meter großen, runden Stein hinab, balancierte auf drei weiteren bis zu dem nächsten Hindernis. Es war ein Auf und Ab durch ein Geröllmeer.
Wieder änderte sich das Terrain. Die Wege führten nun über kiesige, ausgewaschene und ausgetretene Pfade, auf denen ich ständig ins Rutschen kam. Die Sonne knallte auf mich herab, Mark war schneller und lief vor, ich trank nicht genug (auch weil mein Wasser fast leer war) und es stellten sich langsam Kopfschmerzen ein. Meine Laune sank und wir waren noch Kilometer von unserem Ziel entfernt. Ich wurde langsamer und unmotivierter. Mark wartete auf mich und erst dann konnte ich mich wieder zu schnelleren Schritten aufraffen.
Mein Endgegner an diesem Tag war jedoch die Steinmoräne des Khumbu-Gletschers, die wir irgendwann erreichten. Waren es nur Stunden oder Tage gewesen? Ich war vollkommen ausgelaugt. Eine hoch aufgetürmte Steinmauer aus den mitgetragenen Gesteinsmassen der Berge über uns. Vielleicht waren sie vor tausenden von Jahren einmal in einem brutalen Sturm von der Flanke des Lhotse abgebrochen – ich wusste es nicht, nun ragten sie vor mir auf. Diese extra Höhenmeter gaben mir den Rest und ich fing fast an zu weinen. Mark erzählte mir später, dass er beinahe hätte kotzen müssen. Ein einsamer Wanderer hatte uns langsam eingeholt (nachdem uns stundenlang niemand begegnet war) und als wir oben auf der Kante des Gletschers eine Pause machten, brach auch er neben uns zusammen. Er hatte zu wenig Essen mitgenommen und brauchte dringend einen Energieschub. Wir gaben ihm einen Schokoriegel ab und unterhielten uns mit ihm, bis wir alle beschlossen, dass wir besser die Gletscherüberquerung in Angriff nehmen sollten, bevor sich die bedrohlich dunklen Wolken am unteren Rande des Tals in ein schlimmes Unwetter über uns verwandelten. Starke Winde hatten dieses schon vor einer Stunde angekündigt, doch noch schien meist die Sonne auf uns hinab.
Da der sichere Weg über den Gletscher nicht jedes Jahr der gleiche ist und es auch nicht ersichtlich ist, wo man diese breite Schneise aus Felsen und milchig-türkisen Seen, die auf dem uralten Eis unter uns dahinfließen, überqueren kann, hat irgendein netter und schlauer Mensch beschlossen rote Fähnchen anzubringen, die einem den sicheren Weg über den Gletscher anzeigen. Folge den Red Flags – ausnahmsweise.
Ein Hund, der wohl schon seit gestern auf der anderen Seite des Passes mit der anderen Gruppe mitgelaufen war, schloss sich nun uns an und wartete immer wieder. Er schien den Weg über den Gletscher auswendig zu kennen, so dass wir diesem lokalen Guide recht entspannt folgen konnten. Die Fahnen waren jedoch auch in guten Abständen angebracht. Es war tatsächlich der einzige Teil der Route heute, der wirklich gut ausgeschildert war. Der Gletscher war hier unten im Tal immer noch ein faszinierendes Stück Erde, auch wenn wir selten das Eis unter uns zu Gesicht bekamen. Das Springen von Stein zu Stein wurde erträglich, als wir uns zwischen türkis scheinenden Seen entlangarbeiteten – was für ein wunderschöner Anblick!
Und dann kamen wir endlich auf der anderen Seite an. Der Blick auf die wenigen Gasthäuser von Lobuche, das auf 4.900 m liegt, waren die ganze Zeit durch die andere Felsumrandung des Gletschers vor uns verborgen gewesen, aber nun tauchten sie plötzlich so nah vor uns auf, dass wir alle schneller ausschritten. Prompt zog ich mir die einzige Verletzung des Tages zu: Ich knallte mit meinem Schienbein vor einen Felsen und verlor diesen Zweikampf, wovon die Beule die nächsten Tage eine Geschichte erzählen würde… Auf dieser Seite war plötzlich viel mehr los – der Weg zum EBC lag direkt vor uns. Unser adoptierter Hund verschwand und unser adoptierter Wanderer wollte uns den Vortritt lassen, um bei einem Gasthaus nach einem Zimmer zu fragen, weil wir ihn „gerettet“ hatten. In Lobuche kommt es manchmal vor, dass nicht genug Zimmer für alle Wanderer zur Verfügung stehen und dann Leute auf den Bänken in den Gemeinschaftsräumen schlafen müssen. Wir hatten aber unser Zimmer schon reservieren lassen und so konnten wir direkt ins Zimmer und uns entspannen.
Was für ein Tag. Weder Mark noch ich hatten uns den Pass so krass vorgestellt. Ich hoffte, dass es von nun an leichter werden würde.
Tagesausflug: von Lobuche zum Everest Base Camp
Etwa 8 km hin und wieder 8 km zurück würden es von Lobuche zum EBC sein, das auf etwa 5.360 m liegt. Man kann auf etwa halber Strecke auch in dem Dorf Gorak Shep schlafen, aber die hygienischen Bedingungen sollten dort wohl noch schlechter sein, daher blieben wir zwei Nächte in Lobuche. Fließendes Wasser gab es bei uns nur im Erdgeschoss, daher desinfizierten wir uns fleißig unsere Hände, denn nichts ist schlimmer als sich hier Bakterien einzufangen. Und das passiert nicht gerade selten.
Der erste Teil der Wanderung war heute sehr entspannt. Es ging gleichmäßig und nur leicht bergauf, immer direkt neben dem Khumbu-Gletscher in der Mulde des Tals, den er in die Landschaft gefräst hatte. Wir überholten viele Gruppen, denn nach dem harten Tag gestern und nun nur mit Tagesrucksäcken bestückt, kamen wir schnell voran. So angenehm sollte es jedoch nicht bleiben. Wir stiegen schon bald den ersten steileren Hügel hinauf, von dem man einen tollen Blick auf die Länge des Gletschers und den Nupse-Gipfel vor uns hatte. Eine kleine Lawine löste sich am Hang auf der anderen Seite und wir schauten fasziniert zu. Die Größenverhältnisse hier waren so anders als alles, was ich je gesehen hatte. Die Schneemassen schienen wie in Zeitlupe zu fallen, einfach weil die Bergflanke so unendlich hoch war. Ich hatte noch nie so viel Felsen und Schnee gesehen ohne jegliche Vegetation. Wir hatten das Tor zu einer anderen Welt durchschritten. Die Luft war klar, trocken, kalt und dünn. Wenn Steine einen Geruch haben, dann roch ich ihn heute.
Nach Gorak Shep ging es kurz hinab, dahinter würden wir uns nun einige Kilometer auf der Geröllflanke des Gletschers das Tal hinaufarbeiten. Erstmal in Richtung des fast gleichmäßigen Kegels des Pumori und dann in die Mulde, wo der Khumbu-Icefall aus den Bergen hinabkommt, eine Kurve macht und langsamer in das Tal hinabfließt. Nur an wenigen Stellen konnte man den Gipfel des Everest tatsächlich sehen, denn obwohl er so weit in den Himmel hineinragt, wird er hier unten auf knapp über 5.000 m Höhe noch von anderen Bergen verdeckt, unter anderem auch von seiner eigenen Westflanke. Eigentlich hätte es mich nicht erstaunen sollen, dass der höchste Berg der Welt so versteckt zwischen anderen enormen Bergen liegt, dass schon allein das in die Nähe kommen einen gewaltigen Aufwand darstellt.
Funfact: vom EBC aus ist der Gipfel nicht zu sehen; Bergsteiger sehen also ihr Ziel nicht, wenn sie losgehen.
Wir kamen immer höher und neben uns verwandelte sich der Steinhaufen, der ein Gletscher war, immer weiter in eine magische Welt aus Eis. Ich weiß nicht wieso sich in meinem Kopf der Gedanke eingenistet hatte, dass das EBC neben dem Gletscher liegt, aber ich war erstaunt zu sehen, dass sich die gelben Zelte, die wir nun in der Ferne sehen konnten, direkt auf dem Gletscher befanden.
Um von unserer Geröllmoräne zum EBC zu kommen, mussten wir hinabsteigen und dann durch einen Pfad wandern, der von verrückten Eisblöcken, einem milchigen See und eingefrorenen Steinblöcken gesäumt war. Und dann standen wir plötzlich auf einem steinigen Plateau – unter uns Eis – und sahen die Leute, die mit dem Felsen, auf den jemand „Everest Base Camp 5364m“ gemalt hatte, Fotos machten. Neben uns standen zwei schmale dunkelblaue Zelte, die ich für Polizei-Checkpoints gehalten hatte, die sich aber als Toiletten entpuppten. Natürlich musste ich das Damenklo ausprobieren und war angenehm überrascht. Gefrorene Hinterlassenschaften riechen nicht.
Wir machten auch unsere Fotos und spazierten noch ein wenig durch das Zeltdorf, das sich hier nur wenige Monate im Jahr befindet und momentan über 1000 Menschen beherbergt. Was für ein vollkommen verrückter Ort. Leider hatte der Khumbu-Icefall dort unten, wo ich nun auf die eisigen Türme und Seracs starrte, die von hier so klein aussahen, dieses Jahr schon drei Sherpas in den Tod gerissen. Es würden nicht die letzten Todesopfer dieser Saison sein, aber wohl die tragischsten.
Wir drehten recht schnell wieder um, denn wieder waren dunkle Wolken aufgezogen und wir wollten nicht in ein Unwetter gelangen. Da es viel auf und ab ging, war der Weg zurück jedoch nicht viel schneller als der Weg hin und so landeten wir am Ende doch noch in einem kleinen Schneesturm. Die letzten Meter zurück nach Lobuche machten wir als Teil einer kleinen Yak-Herde, die auch gerade vom EBC zurück trottete. Was für tolle Tiere! Ich finde sie wunderschön.
Durch das schlechte Wetter, das auch für den nächsten Tag angekündigt war, hatten wir beschlossen den berühmten Aussichtspunkt Kala Pathar nicht mitzunehmen, denn mit Wolken über den Gipfeln bringt einem ein Aussichtspunkt auch nicht so viel. Wir hatten uns quasi zwischen Kala Pathar und EBC entscheiden müssen und für mich hatte EBC klar gewonnen, denn dort wollte ich schon immer mal zwischen den Zelten gestanden haben.
Um diesen Tag perfekt zu beenden, saßen wir abends um den kleinen Ofen im Gemeinschaftsraum herum und wärmten uns an dem Yakdung-Feuer, das immer wieder erneuert wurde. Geschichten wurden erzählt und wir unterhielten uns mit einem spannenden Kanadier, der dieses Jahr zum zweiten Mal den Versuch wagt, den Gipfel des Everest zu ersteigen. Das erste Mal hatte er in einer Höhe von über 8.000 m umdrehen müssen, um einen anderen Menschen zu retten. Wenn das mal nicht der beste Grund ist einen Berg nicht zu besteigen. Ich drückte ihm die Daumen für dieses Jahr.