Three-Passes Trek in Nepal – Teil 4 “Die Pässe”

3 Wochen durch das Hochgebirge der Khumbu-Region im Himalaya

Im ersten Teil habe ich die Ankunft in den Bergen beschrieben und im zweiten Teil fokussierten wir uns auf das Akklimatisieren und ich zusätzlich noch auf das Gesundwerden. Im dritten Teil nahmen wir den ersten und höchsten der drei Pässe in Angriff und besuchten das Everest Base Camp. Nun ging es für uns von den Hauptwegen weg, um die beiden verbliebenen Pässe zu bezwingen.


Wir waren in Lobuche unterhalb des Everest Base Camps (EBC) und vor uns lagen ein paar spannende Tage.

Lobuche – Zhonghla

Ich hatte eine verrückte Ansammlung merkwürdiger Träume, wie es in diesen Höhen nicht ungewöhnlich ist, auch wenn ich bisher eher weniger davon gehabt hatte. Leider schlief ich nicht gut, weil ich wieder Probleme mit dem Luftholen hatte und immer wieder aufschreckte, weil ich das Gefühl hatte zu ersticken. Vielleicht deswegen die Träume. 4.900 m ist nicht die perfekte Höhe, um sich entspannt auszukurieren; es war kalt und unser Fenster von innen zugefroren als wir morgens aufwachten.

Trotz des kurzen Weges von nur etwa 6,5 km nach Zhonghla, waren wir sehr früh wach und unterwegs, denn sämtliche Wetterapps hatten Schneefall für den Nachmittag angesagt und wir wollten unbedingt vorher ankommen. Noch sah es jedoch recht freundlich aus und ich fragte mich, ob die Apps mal wieder falsch gelegen hatten.

Auf dem Weg ins nächste Tal..

Es ging entspannt los, denn wir folgten dem Khumbu-Gletscher neben uns aus dem Tal hinaus – es ging also leicht bergab. Schon kurze Zeit später erreichten wir einen Wegweiser, der uns nach rechts führte, weg vom Hauptweg. Wir folgten dem ausgetretenen Pfad über ein paar Schneefelder und kamen dann an eine Bergflanke, die wir hinaufsteigen mussten. Ich ließ es ausnahmsweise mal langsam angehen; so langsam, dass sich Mark beschwerte und ich danach etwas schneller ausschritt. Das war auch okay, denn nun hatte sich der Pfad auf einer Höhe eingependelt und folgte in einem sanften auf und ab der natürlichen Krümmung und Richtung des Tals. Wir sahen noch einmal Ama Dablam wieder und bekamen einen letzten Blick auf den Weg in Richtung EBC, bevor wir rechts in ein neues Tal abbogen. Unter uns der Talboden, über uns die massive Steilwand des Cholatse, so steil, dass sich dort kein Schnee hielt.

Die Sonne war mittlerweile hinter einer geschlossenen Wolkendecke verschwunden, aber noch war es trocken und so gingen wir zügig weiter. Vor uns sahen wir einen einsamen Wanderer und erkannten die Silhouette des Typen wieder, den wir vor zwei Tagen unter dem ersten Pass getroffen hatten. Ansonsten kamen uns nur Leute entgegen.

Wir waren dem Tal nun fast bis zum Ende gefolgt, wo es nun ein kleines Stück hinab ging zu einer Ebene, auf der ein mäandernder Bach überquert werden musste. Auf der anderen Seite ging es dann ein kurzes Stück bergauf, über eine Brücke und dann landete man auch schon im kleinen Dorf Zhonghla (4.830 m), das aus einigen wenigen Herbergen bestand. Wir hatten auch nur 2 Stunden benötigt für den Weg statt der angegebenen 3 Stunden. Ein Zimmer mit dem ersten Doppelbett dieser Wanderung war eine schöne Belohnung und zusätzlich gönnten wir uns erstmal eine heiße Dusche. Natürlich wusch ich meine Haare nicht, denn es war viel zu kalt, um diese wieder trocken zu bekommen, aber einen sauberen, warmen Körper zu haben, fühlte sich paradiesisch an. Leider war der Gemeinschaftsraum so kalt, dass ich mich in meinen Schlafsack mummelte und wir uns Hot Lemon bestellten.

Kurz nach 12 fing es an zu schneien. Mark lief schnell nach draußen, um seine gewaschene Wäsche abzuhängen, aber alles war gefroren und er schaffte es nur einen Teil abzunehmen. Der Rest blieb steif hängen. Der Schneesturm weitete sich zu einem Gewitter aus und die Sicht aus dem Fenster verschwamm im Weiß des Schneegestöbers. Unser Gemeinschaftsraum hatte sich mittlerweile mit ein paar Gruppen gefüllt und deren Guides berieten nun das weitere Vorgehen. Der Boden war schon jetzt unter einer 5 cm hohen Schneedecke verborgen, so dass man den Pfad in die Berge nicht mehr sehen konnte. Von hier aus würde es direkt hoch zum nächsten Pass auf über 5.000 m gehen und alle Gruppen beschlossen am nächsten Tag umzukehren und auf dem leichten Weg zurück nach Lukla zu laufen. Mist. Unser Plan war gewesen einer Gruppe und deren Spuren zu folgen, aber so würden wir wohl noch einen Tag abwarten müssen, bevor wir den Pass in Angriff nehmen konnten. Wir würden kein unnötiges Risiko eingehen.

Der nächste Tag startete mit strahlendem Sonnenschein auf einer frischen weißen Schneedecke. Die Berge sahen wie verwandelt aus, irgendwie reiner, unschuldiger. Es war eine friedliche Atmosphäre. Es war ein so schöner Tag, dass wir fast doch loswandern wollten und hin- und hergerissen waren. Es war keine leichte Entscheidung, aber die einzigen aus unserem Haus, die über den Pass gingen, waren 2 Russen ohne Guide. Auch auf der anderen Seite gingen wohl Gruppen zurück, aber wir hofften, dass trotzdem ein paar Leute heute über den Pass kommen würden, so dass morgen eine gute Spur vorhanden sein würde, der wir folgen konnten.

Wir saßen den größten Teil des Tages im Hof in der Sonne, wo es so warm war, dass wir fast ins Schwitzen gerieten. Ich musste meine Kontaktlinsen tragen, obwohl es kein Wandertag war, damit ich meine Augen mit Sonnenbrille vor der hellen Sonneneinstrahlung schützen konnte. Ich baute einen kleinen Schneemann und Schneehund, doch nach einem kurzen Spaziergang waren die beiden verschwunden. Mark konnte nun endlich seine gefrorenen Sachen trocknen und ich freute mich darüber nur zu sitzen und zu lesen. Einfach entspannen in einer warmen Sonne mit den schönsten Bergen um mich herum – es war ein perfekter Tag.

Der Schnee schmolz schnell auf den Dächern und auch die Wege waren mittags schon wieder sichtbar. Irgendwann kamen dann die ersten Wanderer ins Dorf mit nassen Stiefeln und Grödeln (kleinen Steigeisen) unter den Sohlen. Wir waren zuversichtlich, dass es morgen dann klappen würde mit dem Pass.

Über den Cho La nach Dragnag

Mark weckte mich schon früh, ich hatte nicht gut geschlafen. Die Luft war einfach zu kalt und zu trocken gewesen und meine Nase blutete auch wieder vermehrt. Es wird Zeit, dass ich aus den Bergen herauskomme… Aber heute würde es noch einmal hoch gehen. Es hatte abends ein weiteres mal geschneit, aber nicht allzu viel, so dass wir uns keine zu großen Sorgen machten. Mein Knöchel war wieder so weit verheilt, dass ich zum ersten Mal seit Tagen meine Wanderstiefel tragen konnte: Perfektes Timing mit dem Schneefall.

Um halb 7 starteten wir in schönstem Sonnenschein, der aber die eiskalte Luft noch nicht vertreiben konnte. Es sollte wohl -10° C sein, gefühlt -16° C. Super. Die Wege waren immerhin gut zu erkennen, auch wenn sie noch halb zugeschneit waren, aber wir waren auch nicht die ersten, die losgegangen waren.

Ein Blick zurück…

Gleich hinter dem Dorf geht es um eine Kurve, so dass man schon nach einer Minute das Dorf hinter sich zurücklässt und in einem perfekten Winterwonderland landet. Schnee und Berge und ein einsamer Pfad durch diese weiße Landschaft. Es ging stetig bergauf, jedoch war es nicht zu steil, so dass wir gut vorankamen und langsam wärmer wurden. Ein paar Bäche mussten auf dieser fast flachen Ebene überquert werden, doch das Wasser war gefroren, so dass das kein Problem darstellte.

Dann erreichten wir das Ende des Talkessels und fanden uns an einer steilen Bergflanke wieder, die erklommen werden musste. Es war nur ein relativ kurzer Weg, aber die Stufen waren vereist und ich ärgerte mich ziemlich, dass wir unsere Grödel nicht übergezogen hatten, denn nun war es nicht sicher genug, um auf einem Bein herumzuhüpfen und es war kein Platz sich zu setzen. Die Stufen waren steil, unregelmäßig und schmal. Aber das Ende war schon zu sehen und so kamen wir kurze Zeit später auf einer weiteren weißen Hochebene an, wo wir eine Pause machten und nun endlich die Mini-Steigeisen anlegten. Ging gleich viel einfacher vorwärts.

Wir mussten am Ende der Ebene ein weißes Feld überqueren, unter dem ein Gletscher liegt, aber durch den frischen Schnee konnte man Gletscherspalten nicht erkennen. Die sichere Passage war jedoch gut ausgetreten und auch mit roten Stangen gekennzeichnet, aber jedes Mal, wenn man kurz vom Pfad hinabtreten musste, um entgegenkommende Wanderer durchzulassen, fühlte man sich sehr verletzlich. Ich fühlte mich schlapp und hatte immer wieder kurze Anflüge von Übelkeit, wenn es anstrengend wurde, und so quälte ich mich ziemlich beim Aufstieg.

Endlich hatten wir das obere Ende des Gletschers erreicht und sahen auch schon den Pass vor uns. Vielleicht 10 Minuten steiler Aufstieg über dunkle Felsen trennte uns noch von unserem Ziel, aber ich brauchte eine kurze Verschnaufpause. Ich hustete wieder verstärkt und Gliederschmerzen kamen auch dazu.

Irgendwie schaffte ich dann unter viel Gefluche und Gehuste die letzten Meter hoch zum Pass, wo wir eine längere Pause machten.

Cho La: 5.420 m. Wow. Dieses Mal gab es mehr Platz auf dem schneebedeckten Passrücken, wo nun schon viele Menschen ihre Pause und Fotos machten. Ein Stein neben dem Pfad trug die Inschrift „Cho La Pass 5420m“ und natürlich hingen auch hier die farbenfrohen Gebetsfahnen leuchtend über dem weißen Schnee und grauen Steinen. Ich setzte mich auf meine Badelatschen, damit mein Hintern nicht kalt wurde und feierte mich ein wenig für diese schlaue Idee.

Cho La und der Blick nach vorne…

Wir wussten, dass der Abstieg nun steil werden würde und so war ich doppelt froh meine Stiefel für mehr Halt tragen zu können. Unter der Schneedecke sah man die Beschaffenheit des Steigs nicht wirklich, aber an den Seiten waren Stahlseile angebracht, die ich als Handlauf nutzte, um mich zur Not abfangen zu können. Es war wirklich steil und auf einer Seite war der Abhang. Meine dünnen Stoffhandschuhe litten ein wenig, aber ich fühlte mich sicher. Gerade als wir ein paar Meter hinabgestiegen waren, kam uns eine größere Gruppe entgegen, deren Mitglieder alle ziemlich am Kämpfen waren. Sie trugen auch alle keine Grödel und rutschten so ziemlich herum. Eine Frau brach direkt vor uns zusammen und weinte. Sie wollte nicht mehr weiter gehen. Wir sprachen ihr Mut zu und ihr Guide versuchte sie für die letzten Meter zu motivieren, so dass sie nach ein paar Minuten wieder aufstand. Wir hatten leider warten müssen, da sie den kompletten Weg blockierte, der hier nicht sonderlich breit war.

Der Abstieg war dann zwar recht lang, aber irgendwie fand ich ihn entspannt, ich hatte wieder mehr Energie und so liefen wir zügig voran, als es nicht mehr so steil war. Leider ging es dann wieder ein Stück bergauf und durch felsiges Terrain, wo man wieder ein paar roten Stangen folgen musste. Wolken zogen langsam über den Himmel und wir hatten noch ein paar Kilometer vor uns. Irgendwann stiegen wir dann in eine schmale, felsige Schlucht hinein und stiegen neben einem rauschenden Bach hinab. Es wurde kälter, ich musste wieder in meine wärmeren Handschuhe wechseln und meine Nase lief. Plötzlich kamen wir um eine Kurve und hatten es nach Dragnag geschafft. 16 km, etwa 6 Stunden und nun waren wir auf 4.700 m Höhe angekommen. Man kann theoretisch noch weiter bis nach Gokyo laufen, aber das verschoben wir auf Morgen. Ich würde heute höchstens noch zwischen Bett und Gemeinschaftsraum hin und her laufen.

Dragnag – Gokyo (4,5 km)

Wir schliefen recht lange in unserem Doppelbett mit eigenem Bad und gingen erst spät los, denn das Wetter war eh nicht super ansprechend. Gestern hatte es noch ein wenig geschneit und auch heute gab es keine Sonne – über uns lag ein grauer Teppich an Wolken. Immerhin schneite es nicht. Das Dorf wirkte wie ausgestorben, nur ein kleines Hermelin huschte über den Weg. Es hätte auch eine postapokalyptische Szene sein können und wir die einzigen Überlebenden nach einem Atomkrieg.

Es war gar nicht so einfach den richtigen Weg zu finden und leider waren auch keine anderen Menschen unterwegs, denen wir hätten folgen können, aber nach kurzer Suche fanden wir dann den richtigen Pfad zum Ngozumpa-Gletscher, der zwischen diesem Tal und Gokyo liegt. Wir mussten kurz aufsteigen, um auf die felsige Gletschermoräne zu kommen und konnten von dort den größten Teil des Gletschers überblicken. Wir würden nun etwa eine Stunde brauchen, um den Gletscher zu überqueren. Es war eine merkwürdige Landschaft – alles in schwarz und weiß, komische Formen und Wolken wie Nebel an den Berghängen. Manchmal enthüllten sie Details, manchmal standen wir inmitten eines grauen Sees.

(kein schwarz-weiß Foto)

Ähnlich wie im Khumbu-Gletscher ging es durch riesige Felsenhaufen, an Seen vorbei und in einem ständigen Auf und Ab durch diese immer gleiche und doch sich ständig ändernde Gegend. Manchmal waren die Spuren weg und es war schwer dem Weg zu folgen, denn es gab keine Markierungen. Aber wir wurden gute Spurenleser und mit 2 Paar Augen fanden wir immer irgendwie den richtigen Weg. Irgendwann überholte uns ein Porter, so dass wir diesem eine Zeitlang folgen konnten. Ich konnte das schnelle Tempo jedoch nicht lange aufrechterhalten, denn ich fühlte mich noch schlapper als gestern und ich hustete schon ohne große Anstrengung genug.

Der Endgegner der heutigen Wanderung wartete mal wieder am Ende auf uns: Wir mussten einen sehr steilen, schmalen, abbrüchigen und noch dazu matschigen Pfad hinauf, um aus dem Gletscherflussbett hinauszukommen. Schritt für Schritt quälte ich mich voran und hatte absolut keinen Spaß mehr an dieser Wanderung. Ich wollte Mark schon sagen, dass ich jetzt direkt den Weg raus aus dem Tal nehmen wollte. Ich wollte nicht mehr nach Gokyo.

Doch plötzlich standen wir oben über einem großen See, an dessen Ufer Gokyo lag. Es fing nun jedoch an zu schneien, so dass ich meine Abstiegspläne verwarf und doch Zuflucht in einer Unterkunft suchte. Der Ofen war auch schon an und ich konnte unser Glück kaum fassen. Wärme! Mir war trotzdem noch so kalt, dass ich Suppe und Tee orderte und mich direkt neben das Feuer setzte.

Wir spielten ein wenig Uno und eine Runde Schach, um die Zeit zu überbrücken und ich las mal wieder ein neues Buch: Freedom (ein Buch über die Freiheit des Wanders, sehr spannend). Abends klarte es noch einmal kurz auf, so dass wir die umliegenden Berge und den im Hintergrund thronenden Cho Oyu (8.188 m) sehen konnten. Wir waren in Richtung Westen unterwegs.

Der letzte Pass (Renjo La) – von Gokyo nach Lungden

Die Nacht war sehr kalt und ich schlief nicht sehr gut, aber ich fühlte mich morgens fit genug, um doch noch den letzten der 3 Pässe in Angriff zu nehmen, was mir gestern noch absolut unmöglich erschienen war. Wir starteten jedoch um einiges später als geplant, weil einfach niemand in der Küche war, als wir Frühstück bestellen wollten und so mussten wir halt warten… Sehr merkwürdig.

Vom Gästehaus stiegen wir hinab zum ruhigen See, wo wir einen seichten Zufluss überquerten, um dann in den Hang des Gokyo Ri zu steigen. Dort befand sich über uns am 5.360 m hohen Gipfel ein Aussichtspunkt, den wir uns bei den Wolken jedoch gestern geschenkt hatten. Nicht, dass ich noch Energie dafür in meinem Körper übriggehabt hätte. Aber natürlich waren die Wolken eine willkommene Ausrede. Wir stiegen hier unten sehr viel flacher am See entlang in die Berge auf und ich achtete darauf eine gewisse Atemfrequenz nicht zu überschreiten, um meine Lungen nicht zu hart anzustrengen.

Wir bogen vom See weg in die höheren und wilderen Berge ab, wechselten die Bergflanke und fanden uns nun vor einem steileren Abschnitt wieder. Die meisten Höhenmeter zum Pass lagen direkt vor uns. Ich ging langsam und setzte einen Fuß vor den anderen und fand meinen Trott. Einatmen, Ausatmen, Schritt, Einatmen, Ausatmen, Schritt. Ich kam voran, aber es wurde eine Tortur. Meine Beine waren schwer, mein Arm mit dem Wanderstock war schwer, alles war schwer. Mark blieb alle paar Meter stehen, weil ich so langsam vorwärts kroch. Aber gestern hatte ich noch aufgeben wollen und nun war ich auf dem Weg zum letzten Pass. Ich musste nur irgendwie oben ankommen. Ich ging weiter, auch wenn mein Körper mir zuraunte, dass genau hier der beste Platz für eine Pause sei. Und hier. Und hier. Ich blickte nicht mehr nach oben oder zur Seite. Ich redete mit mir selbst und trieb mich vorwärts, auch wenn mein Körper keine Energie mehr zu verbrennen hatte.

Irgendwann wechselte der felsige Weg in tiefen Schnee und wir zogen unsere Grödel über. Wir erreichten eine kleine Hochebene und liefen weiter. Manchmal kam die Sonne für ein paar Minuten hervor, dann verschwand sie wieder hinter den grauen Wolken. Immer wieder schneite es ein wenig. Es ging weiter hinauf.

Ich kämpfte mit jedem Schritt einen inneren Kampf, aber irgendwie kam ich vorwärts bis dann plötzlich die letzten sehr steilen 100 Höhenmeter vor uns lagen. Ich starb halb, aber nun hatte ich das Ziel vor Augen und so überholten wir am Ende sogar noch eine Gruppe. Ich holte plötzlich die letzten Energiereserven hervor und rannte halb – soweit man das auf über 5.000 m Höhe und rasselndem Atem mit etwa einem Schritt pro Sekunde rennen nennen kann. Herzschlag noch mal auf Maximalgeschwindigkeit und ich gewann zwei Dinge, als ich oben am Pass ankam: pure, glückliche Erleichterung und einen minutenlang anhaltenden Husten. Erstmal hinsetzen, Nase putzen, klarkommen.

Renjo La, 5.360 m. Der niedrigste der 3 Pässe, aber er soll die schönsten Aussichten haben. Durch das unbeständige Wetter und den leichten Schneefall dort oben, sahen wir jedoch nicht viel. Im Weiß des Neuschnees leuchteten die Gebetsfahnen fast obszön fröhlich. Ein kleiner Vogel flatterte hier oben herum und kam mir wie eine verlorene Seele auf Wanderschaft vor. Hier war doch nichts außer Schnee und Felsen. Aber vielleicht wartete er auf Krümel unseres Essens.

Nach kurzer Pause machten wir uns auf den Weg hinunter ins nächste und letzte Tal dieser Wanderung und trafen kurz darauf die einzige Gruppe, die an diesem Tag in die entgegengesetzte Richtung unterwegs war. Der Weg auf dieser Seite des Passes war eine einzige Katastrophe. Der Schnee lag hoch auf einem steilen Weg und ähnelte einer langen Rutsche. Eine lange Bahn ohne Trittstufen. Wir setzten unsere Füße vorsichtig und schlugen den weichen Schnee immer wieder aus den Eisenhaken unserer Grödel, um den bestmöglichen Halt zu haben. Die Gruppe, die wir später in der Unterkunft trafen, erzählte uns, dass jeder einmal gefallen wäre auf diesem Abschnitt.

Irgendwann wurden aus der Rutsche unregelmäßige Steinstufen, die halb von Schnee bedeckt waren, aber nun ging es einfacher vorwärts. Mark war deutlich schneller und musste seine Geschwindigkeit anpassen, denn meine Lungen wollten sich gerne aus meinem Körper heraus husten. Wir kamen trotzdem gut voran. Bis ich dann plötzlich nicht mehr konnte. Im englischen nennt man es „hit the wall“, wenn man plötzlich ohne Energie da steht und keinen Schritt mehr machen kann. Selbst wenn mich jemand mit einer Waffe bedroht hätte, wäre ich nicht weiter gelaufen. Ich setzte mich und aß Bananenbrot und merkte regelrecht, wie Energie in meinen Körper zurückfloss. Und deswegen habe ich wirklich immer irgendwelche Snacks dabei, wenn ich Wandern gehe. Auch wenn mir das bisher in diesem Ausmaß noch nie passiert ist.

Es war ein langer, langer Weg hinaus aus den hohen Bergen und es schneite die Hälfte der Zeit, aber wir waren voller Energie und joggten fast. Ich wusste, dass ich es fast geschafft hatte und ich bald wieder im Warmen sein würde. Das motivierte. Die Landschaft war trostlos mit niedrigem Bewuchs, der mich mit den matschigen Wegen sehr an Schottland erinnerte. Der Wind wehte uns kalt ins Gesicht und noch immer waren wir nicht unten. Doch dann sahen wir nach weniger als 6 Stunden endlich Häuser unter uns und mussten nur noch einen steilen Hang hinab, um endlich in das langgezogene Dorf Lungden zu kommen. Ein Farmdorf, das endlich auch aus mehr Häusern als nur Herbergen bestand. Wir waren nun auf 4.380 m angekommen, was sich schon fast tief anfühlte.

Der letzte Weg zurück

Ich schlief richtig schlecht und war erleichtert, als es endlich Zeit war aufzustehen. Wir hatten einen langen Tag vor uns, denn bis zurück nach Namche waren es etwa 19 km. Natürlich würde es viel bergab gehen, aber eben nicht die ganze Zeit und wir waren immer noch auf deutlich über 4.000 m Höhe.

Das Wetter war endlich wieder gut und die Sonne bündelte all ihre Kraft, um die Kälte aus der Luft zu vertreiben. Ich hatte einen schlimmen Sonnenbrand auf meinen Lippen und unter der Nase, da der Schnee die wenigen Sonnenstrahlen gestern wie ein Spiegel reflektiert hatte und ich über meinem Mund ständig meine Nase abgewischt hatte.

Es geht hinab!

Immerhin ging es entspannt los, durch eine verstreute Yak-Herde, über einen gefrorenen Fluss und zu einer ersten Brücke von 7 oder so, die wir heute überqueren würden. Wir kamen so gut voran, dass wir unsere Teepause erst in Thame machten, was in etwa die Hälfte der Strecke war. Das Tal hier war wunderschön, die grünen Pflanzen wurden immer üppiger je tiefer wir kamen. Rhododendren tauchten wieder auf und zeigten schon verblühte Blüten. Wir hatten die Hochzeit der Blüte verpasst als wir in den hohen Bergen gewesen waren.

Unten floss ein türkis leuchtender Fluss, oben lagen Wiesen, vereinzelte Dörfer und ein paar weiße Pagoden. Mani-Steine säumten die Wege und es wurde immer wärmer. Natürlich kamen wir nun langsam unter die 4.000 m Marke.

Der Weg rein nach Namche zog sich mit vielen kleinen Anstiegen, aber dann endlich sah ich den vertrauten Kessel vor mir. Zivilisation. Eine heiße Dusche und endlich Haare waschen. Das Auskämmen meiner 10 Tage alten Knoten dauerte einige Zeit, aber danach fühlte ich mich frisch und neugeboren. Es war früher Nachmittag und sonnig, also gingen wir hinunter in die Stadt. Mittagessen, Shoppen, in Cafés gehen. Hustensaft aus einer Apotheke. Was für ein Kontrast zu den letzten Tagen. In einem Spezialladen konnte alte Sachen von den ersten Everestexpeditionen kaufen, aber eine Teedose für 200 USD war mir dann doch etwas zu teuer, auch wenn sie super cool aussah.

Abends gab es das erste Bier, seit wir vor knapp 3 Wochen aufgebrochen waren. Natürlich besuchten wir auch noch den höchstgelegensten Irish Pub der Welt, aber ich vergaß am Ende ein T-Shirt davon zu kaufen. Wir spielten noch eine Runde Pool, bevor es doch recht früh ins Bett ging, denn am nächsten Tag standen noch einmal etwa 19 km vor uns.

Wiedersehen mit Namche Bazaar

Nach einer Nacht, in der ich endlich einmal gut schlief, ging es an die allerletzte Etappe dieser Wanderung: zurück nach Lukla. Wir standen mit schönstem Sonnenschein auf, der in unsere Fenster schien und es tat richtig gut mal mehr als Null Grad im Zimmer zu haben. Irgendwie war die Sonne jedoch schon wieder verschwunden, als wir uns auf den Weg nach unten machten. Wir waren mit die letzten, die aufbrachen, aber dafür waren wir schnell. Es war perfektes Wanderwetter, denn die Wolken verhinderten die größte Hitze und wir konnten fast joggen. Es ging zunächst steil hinab auf rutschigem Kies und Mark half einmal einem Mädel, die auf dem Grund fast kroch. Aber dann wurde es entspannter und es ging in stetigem hoch und runter weiter.

Beim „Check-Out“ aus Namche wollten wir Müll mitnehmen, aber alle Beutel für heute waren schon vergriffen, da wir so spät unterwegs waren. Dafür holten wir so einige der Menschen ein, die Müllbeutel mit sich herumtrugen. Die meisten hatten eh nur Tagesrucksäcke und deren Porter trugen die restlichen Sachen, da können sie ruhig wenigstens den Müll tragen. Hehe.

Wir waren schnell. So schnell, dass wir viele der Leute mit Tagesrucksäcken überholten und sogar teilweise Porter einholten. Unsere Beine hatten uns 3 Wochen über 3 Pässe getragen und dabei schwere Rucksäcke mit hochgeschleppt – wir waren gut trainiert und ich fühlte mich richtig fit.

In Phakding machten wir eine frühe Mittagspause und dann ging es weiter auf die letzten Meter hoch nach Lukla, wo wir später noch mal richtig zu Mittag aßen. Irgendwie konnte ich noch nicht so ganz glauben, dass wir es nun geschafft hatten. Morgen würde ich nicht wandern müssen und den nächsten Tag auch nicht. Ich war endlich wieder unten angekommen. Wow, was für eine krasse Wanderung, was für eine Zeit!

Betrachtet aus einer Entfernung von mehreren Wochen und einigen tausend Kilometern, bin ich begeistert. Die Berge waren wild und wunderschön, das Wandern eine Herausforderung. Aber ich habe auch meine Tagebucheinträge und ich weiß, dass ich gelitten habe und nicht immer Spaß an der Sache hatte. Die Erkältung hat mich ziemlich fertig gemacht und ich hatte auch Wochen später noch Probleme mit meiner Lunge. Würde ich die „Three Passes“-Wanderung noch einmal machen? Ich weiß es nicht. Eher nein. Werde ich noch mal in diese Region zurückkommen? Wahrscheinlich. Diesmal jedoch mit mehr Zeit, um meinem Körper die Akklimatisierung zu geben, die er braucht und ohne Stress hoffentlich dann auch keine Erkältung zu bekommen. Will ich irgendwann mal über die 6.000 m Marke kommen? Ja, auf jeden Fall. Und das ist in der Everest-Region, im Khumbu, sehr gut möglich. Wir werden also sehen was die Zukunft bringt.


Im ersten Teil sind die Etappen als Übersicht dargestellt und auch eine Karte der Wanderung hochgeladen. Falls jemand Fragen zu Nepal, der Annapurna-Region, Langtang, der Khumbu-Region oder Chitwan hat, gerne melden. 🙂

Mareike

32 Jahre, aus der Nähe von Bremen.

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