Auf 26 km durch die französischen Alpen
An einem perfekt sonnigen Herbsttag in der letzten Oktoberwoche ging es für mich und meine Wanderbegleitung Mark durch das Nachbartal von Chamonix. Vom Start auf etwa 2500 m ging es hinunter, um den auf etwa 1750 m liegenden Fluss zu überqueren und von dort wieder hoch zu einem auf 2500 m gelegenen Pass zu klettern. Auf ungefähr 26 km erlebten wir verschiedene Landschaften und sahen kaum andere Wanderer.
Berge erheben sich zu beiden Seiten des Tals, in der Mitte fließt ein Fluss. Standardanblick, wenn man in den Alpen unterwegs ist und so sieht auch hier aus – parallel zu dem Chamonix-Tal – auf der von den hohen Bergen des Mont-Blanc-Massivs abgewandten Seite, die wir uns für die heutige Wanderung ausgesucht hatten. Leider starteten wir beide mit Handicap, denn mir taten meine Knie vom Joggen am Tag zuvor weh und Mark war beim Mountainbiken gestürzt. Aber das Wetter war zu gut und wir wollten die Wanderung nicht auf das Wochenende verschieben.
So fuhren wir mit der ersten Brévent-Gondel aus Chamonix um 9 Uhr morgens bis auf etwa 2500 m Höhe hinauf, um weit über dem Talboden unsere Wanderung zu beginnen. Noch schauten wir hinunter auf das dicht besiedelte Tal, doch unsere Wanderung würde uns über die Bergkette in das Nebental führen, auf die andere Seite, die natürlich und unberührt im herbstlichen Schatten lag.
Die Sonne ging auf der anderen Seite auf, so dass wir zunächst für ein bis zwei Stunden im Schatten der Berge ins Tal hinabstiegen. Es war Ende Oktober und obwohl der Himmel wolkenlos war, bedeutete Schatten Kälte – der Boden war gefroren, aber frei von Schnee. Kurz nach dem Start ging es in eine Stelle mit felsigem Klettern und großen Schritten, die meine Knie gar nicht mochten heute. Kurz darauf ging es jedoch flacher bis zur nächsten Weggabelung, wo wir nun unseren Abstieg ins Tal antraten. Der Pfad wurde wieder steiler und teilweise waren Bäche und Rinnsale mitten auf dem Weg gefroren. Es war wunderschön, aber kalt und man musste aufpassen, wo man seine Füße hinsetzte.
Von hier oben hatten wir einen weiten Blick ins Tal hinein. Wenig Vegetation mit beige und braun als dominante Farben und die auslaufenden Alpen vor uns. Erst als wir fast am Talboden angekommen waren, änderte sich die Landschaft ein wenig. In der ersten Sonne des Tages ragten dunkle Pinien aus dem sonst immer noch spärlichen Bodenbewuchs heraus. Wir waren bisher noch keinem Menschen begegnet und genossen die nun etwas buntere Landschaft. Eine kleine Brücke bildete die einzige Möglichkeit den La Diosaz zu überqueren, der rauschend der Gravitation erlag und sich über Felsen sprudelnd seinen Weg aus dem Tal heraus bahnte. Nach diesen etwa 750 Höhenmetern hinab, ging es nun wieder auf der anderen Talseite hinauf. Diesmal in der Sonne.
Wir machten unsere Mittagspause bei einem Chalet auf etwa 2000 m Höhe, wo unser Weg auf andere Wanderwege traf und wir unter der beindruckenden, nackten Felswand ein paar 2600 bis 2800 m hoher Berge den Blick auf unseren bereits gewanderten Weg werfen konnten. Einige andere Wanderer kamen vorbei – der erste menschliche Kontakt nach ein paar Stunden.
Wir blieben jedoch nicht länger als 20 Minuten, denn wir wussten, dass wir noch viel vor uns hatten, und wir wollten in der Dunkelheit aus den Bergen heraus sein. Wir würden uns nun etwa 7 km an der Bergflanke entlangarbeiten. Mal hinunter auf 1800m und dann wieder hinauf. Heidelandschaft, Gräser und manchmal sehr matschige Wege, weil sich in den Senken das Wasser sammelte.
Blick nach Norden Blick nach Süden
Langsam wurde es anstrengender, denn wir stiegen nun zum Col de Salenton auf, dem Pass auf 2526 m, der uns wieder zurück ins Tal mit Straße und Zugstrecke Richtung Chamonix bringen würde. Ein Geröllfeld mit steilem Anstieg bildete die letzte Hürde und so kamen wir außer Atem auf dem Sattel zwischen zwei Bergen an. Wir waren gut in der Zeit und machten hier eine weitere Pause und beschlossen auf den kleinen Gipfel neben uns zu steigen, der keine 100 Höhenmeter entfernt war. Ein Schneefeld erschwerte den doch recht steilen Aufstieg, aber dann konnten wir von oben die tolle Aussicht genießen.
Vom Pass aus würde es nur noch hinab gehen und so machten wir uns etwas entspannter auf den Weg. Hier gab es noch eine Abzweigung, um den über 3000 m hohen Mont Buet zu besteigen, aber das muss bis zu einem anderen Tag warten.
Wir nahmen den Pfad hinab, der nach ein paar entspannten Minuten absolut katastrophal wurde. Ein Geröllfeld aus riesigen abgeschliffenen Felsbrocken würde uns eine halbe Stunde lang den Weg hinab erschweren. Da man in diesem steilen Felsenmeer absolut keinen Weg sehen konnte, waren alle paar Meter Stangen zwischen den Felsen angebracht, um einem die ungefähre Richtung aufzuzeigen. Seinen Weg musste man trotzdem noch selbst suchen und so balancierten wir auf schräg nach unten zeigenden Steinen und sprangen über Spalten zum nächsten Felsbrocken. Ein paar Mal war mir der Schritt zu groß – besonders mit den Schmerzen in meinen Knien – und so rutschte ich auf dem Po hinunter, bis meine Schuhe wieder flacheren Felsen unter sich hatten.
Wir liefen auf eine Familie auf, die wohl vom Mont Buet kamen und die sich sehr langsam ihren Weg suchten. Unter dem Felsenkletterparadies ging es geröllig und steil weiter und zwei von der Vierergruppe fielen ein paar Mal hin. Wir überholten dann und stiegen endlich an einer für den Winter geschlossenen Hütte auf entspanntere Wanderwege um. Der Weg wurde plötzlich wunderschön und lenkte mich von meinen schmerzenden Beinen und Füßen ab. Es ging hinein in einen herbstlich verfärbten Wald mit Lärchen, die fast golden leuchteten, auch wenn die Sonne schon hinter den Bergen verschwunden war. Es ging entlang eines weiteren Flusses durch diese wunderschöne Gegend und gelegentlich warf ich einen Blick zurück auf die Berge hinter uns.
Wir kamen immer weiter nach unten und plötzlich war der Boden wieder gefroren – wir mussten eine Stelle erreicht haben, zu der die Sonne den ganzen Tag keinen Zugang hatte. Ein Wasserfall, den wir uns nicht anschauten, weil Mark schon stark humpelte trotz Schmerztabletten, bildete den letzten Punkt unserer Wanderung, bevor wir nach 26 Kilometern und fast 10 Stunden im kleinen Dorf Le Buet ankamen. Leider hatte uns unser Glück verlassen, denn wir hatten um wenige Minuten den nur einmal pro Stunden fahrenden Zug nach Chamonix verpasst. Die Sonne war nun gegen halb 7 schon untergegangen und so wurde es langsam dunkel und auch kälter. Wir beschlossen per Anhalter zurückzufahren und konnten so schon eine halbe Stunde später in unserer warmen Lieblingsbar am Tresen sitzen, ein Bier trinken und auf unser wohlverdientes Essen warten.
Was für ein Tag!