Schweizermühle bis zur Rotsteinhütte
Von dem etwa 105 km langen Forststeig hatte ich nun schon etwa 45 km geschafft, als ich an diesem 4. Wandertag aufbrach. An meinem ersten Tag auf der Wanderroute war ich von Schöna an der Elbe bis hinein in die dicht bewaldete Grenzregion gegangen, auf meinem zweiten Tag lief ich bis zum Campingplatz in Ostrov und am dritten Tag bis zur Kamphütte.
Heute sollte eine der längsten Etappen werden, so dass meine Wanderkameraden schon früh aufstanden. Ich wurde zwar irgendwie wach davon, aber stand noch nicht auf. Ich hatte so gut wie seit Tagen nicht geschlafen und wollte das entspannte Schlummern noch nicht aufgeben – außerdem sah es noch dämmrig draußen aus, nicht meine Zeit. Als ich dann plötzlich wieder hoch schreckte, kam es mir vor, als wäre ich noch einmal für Stunden weg gewesen und so packte ich in Rekordzeit meinen Rucksack. Jedes Teil hatte seinen Platz und mittlerweile war ich auch ziemlich geübt im Packen. Außerdem hatte ich schon recht viel meiner Vorräte aufgegessen, da ich eigentlich vorgehabt hatte, von hier hinunter nach Rosenthal zu laufen, wo es einen Supermarkt und Restaurants gab. Ich war jedoch gestern zu faul gewesen und musste nun zu Plan B übergehen, denn mein Körper sagte mir recht deutlich, dass ich mehr Essen brauchte.
Als ich nach draußen kam, sah ich das Paar wieder, das ich gestern Vormittag überholt hatte. Sie hatten es auch zur Hütte geschafft, aber aus Platzmangel im Zelt draußen geschlafen, was wohl sehr kalt gewesen war. Ich würde sie leider nicht wiedersehen, denn die junge Frau hat erzählt, dass sie Knieprobleme hatte und sie noch nicht wussten, ob sie die 20 km heute schaffen würde – auf halber Strecke lag ein Bivakplatz, den sie vielleicht nehmen würden, wenn es nicht mehr geht.
Die Luft war noch frisch und die Sonne schaffte es noch nicht ganz durch die dünne graue Wolkendecke über mir und so ging ich schnell los. Ich kannte den Weg schon vom Wasserholen am Abend zuvor und ging daher schnell durch das Unterholz hinunter ins Tal Richtung Schweizermühle. Man kam auf halber Strecke hinab an einem Aussichtspunkt hinter einem etwas undurchsichtigen Gewirr von Felsen vorbei, den ich mir am Tag zuvor in der warmen Nachmittagssonne schon angeschaut hatte, wobei ich mich mindestens zweimal verlaufen hatte und auch jetzt hatte ich Schwierigkeiten auf Anhieb den richtigen Weg zu finden, denn irgendwie führten die gelben Fähnchen an den Steinen einen im Kreis herum. Oder ich war noch nicht richtig wach.
Der Tag startete auf jeden Fall schon mit einem schönen Streckenteil, denn gleich hinter den Felsen ging es ein paar steile Metalltreppen hinab, rechts und links Felsen. Nach ziemlich genau 15 Minuten stand ich dann unten an der Sophien-Quelle, einem überdachten, runden Brunnen, in den man hineinsteigen konnte und wo ich meine drei Wanderfreunde wieder traf, denn die waren schon seit einiger Zeit dabei ihre 3 Liter Wasser pro Person aufzufüllen, was bei einem Filter ziemlich zeitaufwendig war. Ich hatte meine 1,5 Liter seit gestern schon wieder ausgetrunken und füllte daher auch wieder auf, war aber deutlich schneller, so dass ich nur etwa eine Minute nach den anderen auf dem Forststeig im Wald verschwand. Der Weg führte am Hang oberhalb des Dorfes entlang bis er zu einer Straße führte, der man ein paar Meter zurück Richtung Dorf folgte, um dann auf der anderen Seite wieder ins Tal zu gelangen. Wir waren hier im Bielatal, berühmt für seine spektakulären Sandsteintürme, an denen auch viele Menschen gerne klettern gehen.
Und kaum war ich auf der anderen Talseite, kamen diese Sandsteinfelsen auch schon in Sicht. Die schönen bunten Maserungen des Gesteins ließen mich immer wieder kurz innehalten. Strukturen, Wellen, Farben – was für ein wunderschönes Naturschauspiel. Ich kam an einer Boofe vorbei, in der eine große Gruppe Kletterer übernachtet hatte, die gerade langsam munter wurden. Da hier außerdem auch noch eine Quelle war, war dies ein perfekter Platz die Nacht zu verbringen.
Ich hatte kaum Zeit mich an die schönen Felsformationen auf meiner linken Seite zu gewöhnen, als es auch schon direkt in diese Felsenwelt hineinging. Der Forststeig führte auf einer Felsentreppe hoch durch dünne Schluchten in den oberen Bereich des Tals, wo viele der freistehenden Felstürme zu sehen waren. Die berühmtesten waren die Herkulessäulen, zwei Zwillingstürme, die in freier Sicht in den Himmel ragen. Da sich meine drei Wanderfreunde diese Aussicht als Rastplatz ausgesucht hatten, konnte ich sie bitten, ein Foto von mir zu machen, bevor ich mich wieder auf den Weg machte, um ein wenig allein unterwegs zu sein. Dieser Wegabschnitt war mit Sicherheit ein ganz großer Höhepunkt der Tour und dieser Tag würde auch mein Lieblingstag der ganzen Wanderung werden.
Es ging wieder hinein in die Felsen und ich freute mich, dass man den Forststeig so geplant hatte, dass er nicht den entspannten Wanderwegen unten folgt, sondern das Beste der Gegend mitnimmt, auch wenn es dafür mal anstrengend und fordernd wird. Besonders mit einem großen Rucksack auf dem Rücken – ich würde heute nicht nur einmal am Felsen entlang kratzen, bei dem Versuch, mich durch schmale Felstunnel zu zwängen.
Es ging nun wieder auf direktem Weg auf die andere Talseite und ich überquerte zum zweiten Mal den kleinen Bach Biela, der dem Tal seinen Namen gegeben hat. Auf dieser Seite ging es nun steil auf schmalen Treppen hinauf zu ein paar Aussichtspunkten, die das Tal und ein paar der Felstürme überblicken. Wäre es unten nicht so bewaldet, hätte man die vielen Felsformationen noch besser sehen können, aber auch so war es ein wunderschöner Anblick. Kein Wunder, dass hier oben ein Mädel auf einem der Felsen saß und meditierte. Auf dem Weg hinauf hatte mich ein Mann angesprochen, der meine Powerbank mit Solarpanel an meinem Rucksack hängen gesehen hat und wissen wollte, wie gut diese funktioniert. Ich hatte damit ehrlich gesagt noch nicht viele Untersuchungen vorgenommen, aber am Ende des 5. Wandertages zeigte sie noch volle Power an, obwohl ich jeden Tag mein Handy und meine Uhr geladen hatte.
Von hier ging es parallel zum Tal im oberen Bereich des Hangs entlang und ich merkte, dass ich fit war. Die Treppen hatten zwar mein Herz in Schwung gebracht, aber ich fühlte mich voller Energie und freute mich richtig heute viele Kilometer zu gehen. Oberhalb des Dorfes Ottomühle machte ich auf einer Bank unter Bäumen eine kleine Frühstückspause und beobachtete eine Schafherde, die ihren Schäfer freudig begrüßte. Ich war seit etwa 1,5 Stunden unterwegs und hatte etwa 4,5 km hinter mich gebracht. Die vielen Highlights des Bielatals mussten natürlich auch ausgiebig bewundert werden, so dass ich nicht wirklich schnell vorwärts kam. Hinter dem Dorf überquerte ich mal wieder die Biela, neben der ich eine zeitlang entlang wanderte, und kam somit wieder auf die andere Talseite. Hier gab es so einige Höhlen, von denen ich mir auch ein paar anschaute, auch wenn ich dazu ein paar zusätzliche Höhenmeter machen musste. Ich schaute mir die Schwedenhöhle und das Eisloch an, verpasste aber die Stripteasehöhle daneben (mist). Schwedenhöhle ist wohl ein Begriff, der Höhlen bezeichnete, wo die Bevölkerung in Kriegszeiten ihre Habseligkeiten und Vieh versteckte. Das Eisloch war von solcher Beschaffenheit, dass sich dort teilweise bis in den Sommer der Schnee hielt.
Es ging noch einmal durch ein kleines Felsdorf hindurch, bevor ich wieder einmal den Bach überquerte, um nun eine ganze Zeit lang auf dem Pfad auf der „Grenzplatte“ bis hinunter zur Grenze zu gehen, immer dem Lauf des Flusses folgend. Mein Essensplan war nämlich, zurück nach Ostrov zu laufen, da die Abzweigung dorthin nach ziemlich genau der Hälfte des Weges kam: nach 10 km. Der Umweg würde mit Hin- und Rückweg etwa 2 km betragen, das war gut machbar, auch an einem langen Wandertag und so erreichte ich nach etwa 4 Stunden das Restaurant am Autokemp in Ostrov.
Leider war es noch gar nicht 12 Uhr und die Küche hatte noch nicht geöffnet, so dass ich mich auf eine längere Wartezeit einrichtete. Ich wechselte von Schuhen zu Sandalen, legte die Powerbank in die Sonne, bestellte eine Cola und las mein Buch. Die Bedienung meinte dann jedoch, dass sie Knoblauchsuppe schon da hätten und so bestellte ich diese. Die war jedoch so ergiebig und lecker, dass ich danach gar keinen Hunger mehr auf noch eine weitere Speise hatte. In einem Anfall von Genialität bestellte ich mir dann jedoch noch ein überbackenes Nudelgericht zum Mitnehmen und machte mich nach etwa einer Stunde Pause wieder auf den Weg.
An der Kreuzung, wo ich wieder zurück auf den Grenzpfad und somit dem Forststeig abbiegen wollte, traf ich die drei Wanderfreunde wieder und lief das nächste Stück gemeinsam mit ihnen. Was für ein lustiger Zufall. Es ging durch eine grasbewachsene Schneise im Wald, warm von der Sonne und ohne Höhenmeter, so dass man entspannt ausschreiten konnte. Nach etwa 2 km auf der Grenze bogen wir dann nach Norden hin ab, wo es auf einem breiten Forstweg zurück in die Wälder ging. Steilwände ragten vor uns auf, von denen wir einige Minuten später zurück ins Tal blicken würden. Ein Bussard kreiste über uns im blauen Himmel – was für ein wunderschöner Wandertag.
Nach diesem Aufstieg machten die anderen eine kleine Pause auf den Felsen und ich ging weiter in den hellen Wald hinein. Wir würden uns auf den letzten paar Kilometern immer wieder gegenseitig überholen. Ein Teil des Weges führte nun wieder auf größeren Schotterwegen entlang und da wir recht nah an das Dorf Rosenthal kamen – nun auf der anderen Seite – gab es oft Felder und Wiesen, über die man nach unten blicken konnte. Erst auf dem letzten Abschnitt ging es wieder in den Wald hinein. Ich hatte noch Energie übrig, wollte nun aber gerne Ankommen an dem Ziel für heute: der Rotsteinhütte. Mitten im Wald gelegen, kam sie dann auch oberhalb eines Hanges in Sicht, wahrscheinlich der schönste Ort für eine Hütte, den man hätte wählen können. Ein Paar, das ich nicht kannte, war schon da und so suchte ich mir einen Platz im größeren Raum aus. Diese Nacht würde wieder sehr voll werden, denn es kam noch eine größere Gruppe mit jungen Männern hier an, die auch in Schöna gestartet waren, aber den Schlenker über Ostrov und die Kamphütte weggelassen hatten und direkt hierher gekommen waren.
Eine Wasserquelle lag ein paar Minuten den Hang hinunter im Gebüsch, so dass ich dort direkt noch einmal meinen Vorrat auffüllte. Es dauerte ein wenig, da das Wasser nur als kleines Rinnsal aus dem Boden kam, und ohne Wegweiser hätte man dieses kleine bisschen Wasser nie gefunden. Ich aß meine sogar noch lauwarmen Nudeln und war richtig glücklich. Ich hatte auf jeden Fall noch genug Snacks für den nächsten Tag.
Mit über 23 km und einer Gesamtzeit von knapp 7 Stunden (Komoot), war dies einer der längsten Wandertage für mich. Ich war jedoch endlich richtig angekommen und die Kilometer und Höhenmeter (ca. 750 an diesem Tag) machten mir nicht mehr viel aus. Abends ein wenig Dehnen, dann früh hinlegen und lesen und schon würde ich am nächsten Tag wieder Energie für eine weitere Wanderung haben.